Zu viel Ökostrom bringt das Stromnetz immer öfter an die Belastungsgrenze

Von | 15. Juni 2025

An sonnigen Feiertagen steht das deutsche Stromnetz unter enormer Belastung. Besonders im Mai lieferten Wind- und Solaranlagen häufig mehr Strom, als tatsächlich benötigt wurde. Nur Großverbraucher und Haushalte mit dynamischen Stromtarifen profitieren kurzfristig von negativen Strompreisen – die breite Mehrheit jedoch nicht. Netzbetreiber geraten unter Druck, denn Stromüberschüsse belasten die Stabilität des Stromnetzes massiv. Werner Götz, Chef von TransnetBW, mahnt: Die Infrastruktur hält dieser Entwicklung nur mit Mühe stand. Ohne neue Spielregeln droht die Überlastung (ntv: 08.06.25).

Erneuerbare im Überfluss – doch das Stromnetz gerät an seine Grenzen

Götz sieht in den stark schwankenden Strompreisen ein deutliches Warnsignal. Bereits über 120 Stunden lag der Börsenstrompreis im Mai im negativen Bereich. Verbraucher mit flexiblen Tarifen profitieren – Betreiber von Solar- und Windparks hingegen kämpfen mit wirtschaftlichen Verlusten. Je öfter der Preis unter null fällt, desto geringer die Einnahmen.

Zu viel Ökostrom bringt das Stromnetz an seine Grenzen. Netzbetreiber fordern neue Regeln und Milliardeninvestitionen für stabile Versorgung

Besonders für neue Projekte hat das Konsequenzen. Wer Photovoltaikparks bauen will, muss sich auf sinkende Einnahmen einstellen. Götz empfiehlt, Solaranlagen mit Batteriespeichern zu kombinieren. So lässt sich Strom dann einspeisen, wenn die Preise attraktiv sind. Netzbetreiber profitieren ebenfalls: Gleichmäßige Einspeisung erleichtert die Steuerung des Netzes.

Marktmechanismen stoßen an Grenzen

Die starken Preisschwankungen – von minus 250 bis plus 800 Euro pro Megawattstunde – zeigen die Instabilität des Systems. Batteriespeicherbetreiber verdienen an dieser Differenz. Netzbetreiber müssen hingegen ständig nachjustieren, um das Gleichgewicht zwischen Einspeisung und Verbrauch zu sichern.

Ein weiteres Problem betrifft die geografische Schieflage: Im Norden erzeugen Windparks große Mengen Strom. Im Süden steigt hingegen der Verbrauch durch Industrie. Die bestehenden Leitungen – vielfach aus den 1960er- und 70er-Jahren – genügen den heutigen Anforderungen nicht mehr. Nationale und europäische Lösungen sind gefragt.

Ausbau des Netzes kostet Milliarden

Götz verweist auf Studien, nach denen ein besser ausgebautes Stromnetz jährlich bis zu 18 Milliarden Euro einsparen könnte. Dafür braucht es jedoch Investitionen von rund 300 Milliarden Euro. Der Stromtransport über internationale Kuppelstellen lässt sich dadurch verbessern – und das Stromsystem stabilisieren.

Das europäische Netz gilt als eng verknüpft. Doch die Transportkapazitäten reichen nicht aus. Besonders auf der Nord-Süd-Achse fehlt es an leistungsfähigen Leitungen. Gleichzeitig schreitet der Ausbau von Solaranlagen schnell voran. Diese Entwicklung lässt sich nur beherrschen, wenn Netz- und Erzeugungsausbau besser abgestimmt werden.

Spielregeln neu definieren

An Pfingsten lag der Stromverbrauch in Deutschland bei nur 30 Gigawatt, während die installierte PV-Leistung 100 Gigawatt erreichte. Die Konsequenz: Nicht nur Windkraft, sondern auch Solarstrom musste abgeregelt werden. Durch das neue Solarspitzengesetz ist dies nun auch bei kleineren Anlagen möglich. Ab einer Leistung von 7,5 Kilowatt greift der Netzbetreiber direkt ein. Zudem entfällt bei negativen Preisen die Einspeisevergütung für neue Anlagen.

Strom, der nicht gebraucht wird, fließt zunächst ins europäische Ausland. Erst wenn auch das nicht ausreicht, kommt es zur Abschaltung. Die Strombörse informiert Netzbetreiber mit 24 Stunden Vorlauf über erwartete Mengen. Diese Daten fließen in sogenannte Redispatch-Maßnahmen ein: An manchen Orten wird die Erzeugung reduziert, an anderen erhöht. So lassen sich Transportengpässe vermeiden.

Sicherheitsnetz aus konventionellen Kraftwerken

Götz beschreibt bildlich, was bei Überlastung droht: „Wenn man das Netz über seine Stromtragfähigkeit hinaus betreibt, wird es thermisch überlastet. Die Leitungen beginnen zu glühen.“ Schutzabschaltungen verhindern dann Schlimmeres. Ein flächendeckender Stromausfall ist aber ausgeschlossen, da europaweit Sicherheitsberechnungen durchgeführt werden.

Unvorhersehbare Wetterumschwünge lassen sich nicht vermeiden. Daher arbeitet TransnetBW mit rund 300 Marktpartnern zusammen. Diese stellen flexibel steuerbare Leistung bereit – meist aus Kohle- oder Gaskraftwerken. Diese Kraftwerke springen ein, wenn erneuerbare Energien ausfallen oder überschüssig sind.

Hellbrise oder Dunkelflaute – das Stromnetz muss beides ausgleichen

Ob zu viel oder zu wenig Strom – die Herausforderung bleibt dieselbe: Erzeugung und Verbrauch müssen zu jeder Sekunde im Gleichgewicht stehen. Netzbetreiber greifen notfalls ein, um Stabilität zu sichern. Entscheidend ist die enge Verzahnung zwischen Netzbetrieb, Strommarkt und politischen Rahmenbedingungen. Nur so lässt sich die Energiewende technisch sicher und wirtschaftlich tragfähig gestalten.

Lesen Sie auch:

TransnetBW-Chef warnt: Energiewende droht aus dem Ruder zu laufen

TransnetBW drängt auf den Bau neuer Backup-Kraftwerke für die Energiewende

Auftragsflut in Brandenburg stockt – schwaches Stromnetz bremst Boom der Rechenzentren aus

Stromnetz am Limit – Chef der Bundesnetzagentur warnt vor Notfallmaßnahmen

Der Beitrag Zu viel Ökostrom bringt das Stromnetz immer öfter an die Belastungsgrenze erschien zuerst auf .

Teilen ...

Schreibe einen Kommentar