Wirtschaftsgipfel: Olaf Scholz ignoriert Mittelstand und Leistungsträger

Von | 3. November 2024

Bundeskanzler Olaf Scholz setzt auf einen neuen Ansatz zur Bewältigung der Wirtschaftsflaute. Der Kanzler plant einen vertraulichen Wirtschaftsgipfel im kleineren Kreis, bei dem etwa 20 ausgewählte Vertreter zusammenkommen sollen. Bemerkenswert ist dabei seine Entscheidung, weder Wirtschaftsminister Robert Habeck noch Finanzminister Christian Lindner einzuladen.(focus: 25.10.24)

Teilnehmerliste

Die Teilnehmerliste umfasst gezielt Vertreter aus beschäftigungsstarken Branchen:

Industrieverbände: BDI und VDMA

Gewerkschaften: DGB, IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie

Großunternehmen: VW, BMW und Mercedes

Der Kanzler betont den vertraulichen Charakter des Treffens und verzichtet bewusst auf öffentlichkeitswirksame Elemente wie Pressekonferenzen. „Ich möchte, dass es eine vertrauliche Diskussion gibt, in der nicht jeder vorher sagt, was er fordert“, erklärte Scholz in einer ZDF-Sendung.

Bundeskanzler Scholz plant einen exklusiven Wirtschaftsgipfel ohne Beteiligung von Habeck, Lindner und dem Mittelstand, was Spannungen und Kritik hervorruft.
Bild: Ozan KOSE / AFP

Die Exklusivität des Gipfels hat jedoch zu Spannungen innerhalb der Ampel-Koalition geführt. Als Reaktion darauf plant die FDP-Fraktion unter Lindner ein eigenes Wirtschaftstreffen am selben Tag. Der Mittelstand, der rund 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und über 80 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutschland stellt, kritisiert seine Nichtberücksichtigung beim Kanzlergipfel scharf.

Scholz verteidigt seinen Ansatz: „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen“ und stattdessen nach breit getragenen Lösungen suchen . Der Gipfel soll den Auftakt für eine „neue industriepolitische Agenda“ bilden, deren Ergebnisse später dem Parlament vorgelegt werden sollen.

Reaktionen der Wirtschaftsverbände

Die Wirtschaftsverbände reagieren mit deutlicher Kritik auf den geplanten Industriegipfel im Kanzleramt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert nachdrücklich eine „gemeinsame wirtschaftspolitische Strategie“ anstelle verschiedener Thesenpapiere und Gesprächsformate.

Die aktuelle BVMW-Jahresumfrage 23/24 unterstreicht die Unzufriedenheit der Wirtschaft: Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen bewertet die Regierungsarbeit als ungenügend. Die Investitionsbereitschaft sinkt, während die Furcht vor einer Verschlechterung der Geschäftslage zunimmt.

Kritik an der Exklusivität

Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Familienunternehmer-Verbandes, bezeichnet die Veranstaltung als „Ein-Viertel-Gipfel“, da die Industrie nur 25 Prozent der deutschen Wertschöpfung ausmache. Der Handwerksverband kritisiert besonders scharf, dass der Mittelstand dabei „unter den Tisch fällt“.

Die wichtigsten Kritikpunkte der Verbände:

Bürokratische Hürden bei Investitionen

Mangel an personellen Ressourcen

Unkalkulierbare Investitionsbedingungen

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) prognostiziert zusätzliche Energiekosten zwischen 100 und 150 Milliarden Euro für dieses Jahr im Vergleich zum Durchschnitt der Vergangenheit. Diese Mehrbelastung fehlt nach Verbandsangaben für dringend notwendige Investitionen in Klimaneutralität und Kernprozesse.

Politische Dimension und Konsequenzen

Die parallel geplanten Wirtschaftsgipfel haben eine tiefe politische Krise in der Ampel-Koalition offenbart. Deutschland steckt in einer Rezession, wobei das Bruttoinlandsprodukt 2024 zum zweiten Mal in Folge sinken wird. Die Prognose wurde im Herbst auf einen Rückgang um 0,2 Prozentpunkte korrigiert.

Koalitionsspannungen

In der SPD wird Lindners separates Treffen als direkte Provokation gegenüber dem Kanzler gewertet. „Die wirtschaftliche Entwicklung ist gerade Chefsache“, betont Verena Hubertz, Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge mahnt: „Wir brauchen keine Konkurrenz-Gesprächskreise von Finanzminister und Kanzler, sondern gemeinsame Lösungen in der Bundesregierung“.

Politische Reaktionen

Die Opposition nutzt die Situation für scharfe Kritik. Führende Politiker äußern sich wie folgt:

Friedrich Merz bezeichnet die unkoordinierten Vorstöße als „Kindergartenspiele“

CSU-Generalsekretär Martin Huber fordert: „Schluss mit diesem Kasperltheater“

Arbeitsminister Hubertus Heil drängt die Koalitionspartner, das „Fingerhakeln“ aufzugeben

Wirtschaftliche Folgen

Die politische Zerstrittenheit hat jedoch konkrete Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik. Im Etat des Bundes klafft ein Fehlbetrag von rund zwölf Milliarden Euro, der bis 2025 eingespart werden muss. Zudem erschweren die divergierenden Ansichten innerhalb der Regierung die Umsetzung von politischen Maßnahmen und destabilisieren die wirtschaftspolitische Agenda.

Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Familienunternehmer-Verbandes, sieht die beiden Wirtschaftsgipfel als „letzte Chance“ für die Ampel-Koalition, die wirtschaftspolitische Lage im Land noch zu wenden. Sollte dies nicht gelingen, müsse die Ampel ihre Arbeit nach ihrer Einschätzung sofort beenden.

Alternativen und Forderungen

Angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen fordern Wirtschaftsexperten und Verbände einen grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftsministerin Baden-Württembergs betont die Notwendigkeit eines „neuen Mindsets und Spirit in der EU“, da über 50 Prozent der Bürokratielasten aus EU-Regelungen stammen.

Konkrete Reformvorschläge

Die dringlichsten Forderungen der Wirtschaftsverbände umfassen:

Bürokratieabbau und Belastungsmoratorium für den Mittelstand

Innovationsfreundliche Regulierung für KI-Unternehmen

Entwicklung des Green Deals zu einer echten Wachstumsstrategie

Die Experten warnen: Ohne neue Wirtschaftsagenda kann Europa nicht wettbewerbsfähig bleiben. Zentrale Handlungsfelder sind die Stärkung des Kapitalmarkts und die Förderung von Schlüsseltechnologien.

Investitionen und Innovation

Zusätzliche staatliche Investitionen von jährlich 60 Milliarden Euro würden die deutsche Wirtschaftsleistung nach zehn Jahren um 0,8 Prozent erhöhen. Die Wirtschaftsverbände fordern zudem eine Innovationsoffensive mit echten wirtschaftlichen Anreizen statt weiterer Bürokratie. Besonders im Fokus steht die Förderung der digitalen Souveränität Europas und die Bündelung von Kräften bei Schlüsseltechnologien.

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