Die Niederlande greifen erstmals zur Rationierung von Strom – konkret bedeutet das: Großverbraucher dürfen in Spitzenzeiten keinen Strom mehr nutzen, während Haushalte finanzielle Anreize erhalten, ihren Verbrauch auf Nebenzeiten zu verlagern. Damit reagiert das Land auf ein überlastetes Stromnetz, das mit der stark beschleunigten Elektrifizierung nicht Schritt hält. Auch Deutschland könnte bald gezwungen sein, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen (ft: 13.07.25).
Elektrifizierung überfordert Stromnetz – Rationierung als Reaktion
Der Ausstieg aus der Gasförderung im Feld Groningen 2023 löste einen massiven Schub bei der Elektrifizierung aus. Doch das Stromnetz erreicht seine Kapazitätsgrenzen. Tausende Unternehmen und öffentliche Einrichtungen wie Kliniken und Feuerwachen stehen auf Wartelisten für Stromanschlüsse.
Niederlande führen erstmals Rationierung von Strom ein – Großverbraucher werden in Spitzenzeiten abgeschaltet und das Netz zu entlasten
Der Bau zusätzlicher Leitungen und Umspannwerke schreitet zwar voran, jedoch zu langsam. Neue Anschlüsse bleiben in manchen Regionen bis Mitte der 2030er-Jahre blockiert. Investitionen verzögern sich oder entfallen, weil Strom nicht zuverlässig bereitsteht.
Rationierung trifft Hightech-Region mit voller Wucht
„Alles wird elektrisch, und die Strominfrastruktur muss überall massiv wachsen“, warnt Jeroen Dijsselbloem, Bürgermeister von Eindhoven. Die wirtschaftlich bedeutende Brainport-Region rund um ASML leidet besonders. Neue Netzkapazitäten bleiben dort bis 2027 Mangelware. Benötigt werden über 100 mittelgroße sowie 4000 kleine Umspannwerke – doch auch 28.000 Techniker fehlen.
In der Praxis setzt die Rationierung an mehreren Punkten an: Großabnehmer erhalten keine Netzfreigabe mehr für Spitzenzeiten. Firmen mit steuerbarem Verbrauch werden zwangsweise vom Netz genommen – zu festgelegten Zeiten. Haushalte erhalten spezielle Tarife, die sie belohnen, wenn der Stromverbrauch in die Nacht- oder Vormittagsstunden verlagert wird.
Verbrauch steuern statt Versorgung ausbauen
Die niederländische Regierung flankiert die Rationierung mit einer nationalen Energiespar-Kampagne. Bürger sollen E-Bikes und Elektroautos nur noch außerhalb der Stoßzeiten zwischen 16 und 21 Uhr laden. Netzbetreiber bieten dafür spezielle Verträge an – günstiger Strom gegen planbaren Verbrauch.
Diese Maßnahmen mildern die Spitzenlast, ersetzen jedoch keinen strukturellen Ausbau. Die Stromkosten in den Niederlanden zählen inzwischen zu den höchsten in Westeuropa. Bis 2040 rechnet die Regierung mit rund 200 Milliarden Euro an Investitionen. Der Verkauf des deutschen TenneT-Anteils könnte 20 Milliarden Euro beisteuern – doch der Großteil liegt bei den Verbrauchern.
Deutschland droht die gleiche Entwicklung
TenneT betreibt in Deutschland zentrale Leitungen von Nord nach Süd. Eine Sprecherin warnt: „Belgien steckt in Schwierigkeiten, Großbritannien ebenfalls. In Deutschland gibt es massive Probleme, weil sich die gesamte Windenergie im Norden befindet, der Strombedarf jedoch im Süden liegt.“
Auch im Osten Deutschlands stoßen die Stromnetze an Grenzen. Besonders die starke Einspeisung von Solarstrom überfordert die bestehenden Strukturen. Sachsen Energie warnt vor Engpässen, obwohl der Netzausbau voranschreitet.
Ohne Ausbau keine Versorgungssicherheit
Der Netzentwicklungsplan sieht bis 2045 rund 4800 Kilometer neuer Leitungen und 2500 Kilometer Verstärkung vor. Doch viele Projekte verzögern sich. Mitnetz Strom fordert, Ausbau und Energiewende besser zu synchronisieren. Allein dieser Betreiber investiert bis 2030 rund drei Milliarden Euro. Sachsen Energie plant bis 2027 rund 730 Millionen Euro.
Die Bundesnetzagentur kalkuliert mit 42 Milliarden Euro Kosten bis 2032. Studien nennen sogar eine Gesamtsumme von 730 Milliarden Euro bis 2045. Bleibt der Ausbau zu langsam, droht auch Deutschland die Rationierung – in ähnlicher Form wie derzeit in den Niederlanden.
„Ein Stromnetz aufzubauen dauert fünf bis sechs Jahre – es gibt keine schnelle Lösung“, warnt Energieexpertin Zsuzsanna Pató. Wer heute nicht plant, rationiert morgen.
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