Im US-Bundesstaat Michigan wird erstmals ein stillgelegtes Atomkraftwerk reaktiviert. Die US-Regierung unterstützt das Vorhaben finanziell, der Aufwand ist überschaubar. Diese Maßnahme könnte auch ein Vorbild für Deutschland sein, stünden der Politik nicht erhebliche Bedenken im Weg. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte solche Gedankenspiele in der Vergangenheit abgelehnt. Er argumentierte, dass ein einmal abgeschaltetes Atomkraftwerk nicht wieder ans Netz gehen könne. Nach der Abschaltung der letzten drei deutschen Meiler im April vergangenen Jahres begann der Abbau der verbliebenen Atommeiler. Scholz betonte, dass der Bau neuer Kernkraftwerke 15 Jahre und 15 bis 20 Milliarden Euro pro Stück kosten würde (welt: 08.05.24).
USA beleben alte Atomkraftwerke wieder
Während Deutschland diese Sichtweise vertritt, ist man in den USA anderer Meinung. Dort wird die Wiederbelebung stillgelegter Atomkraftwerke als machbar angesehen und bereits praktiziert. Das „Department of Energy“ (DOE) der US-Regierung hat dem Energiekonzern Holtec ein Bürgschaftsdarlehen über 1,52 Milliarden Dollar gewährt. Mit diesem Geld wird das Kraftwerk „Palisades“ am Ufer des Lake Michigan wieder in Betrieb genommen. Was in Deutschland als unmöglich gilt, wird in den USA umgesetzt.
Reaktivierung des Atomkraftwerks Palisades in Michigan: Kostengünstige Stromproduktion und signifikante CO₂-Einsparungen
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Dieses Beispiel könnte auch in der deutschen Debatte über die Atomkraft einen neuen Akzent setzen. Die Abschaltung der letzten sechs deutschen Atomkraftwerke wird hierzulande weiterhin kritisch diskutiert. Das Magazin „Cicero“ deckte kürzlich auf, dass es offenbar keine ergebnisoffene Prüfung der deutschen AKW-Abschaltung gab. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wies die Vorwürfe zurück, die AKW-Betreiber hätten erklärt, dass der Weiterbetrieb aufgrund technischer und regulatorischer Hürden nicht möglich sei.
Der frühere E.on-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley widersprach dieser Darstellung in einem Interview mit „n-tv“. Er bezeichnete die Behauptung Habecks als „Unsinn“ und betonte, dass E.on technisch alles möglich machen würde. Die Entscheidung liege jedoch allein bei der Bundesregierung.
Vom Abriss zur Wiederbelebung: Wie ein US-Atomkraftwerk in Michigan eine zweite Chance erhält
Für Bundeskanzler Scholz ist das Thema Kernkraft abgeschlossen. In Michigan hingegen erlebt es eine Wiederbelebung. Der Reaktor von Palisades nahm 1971 seinen Betrieb auf und wurde 2022 abgeschaltet. Holtec, ein Unternehmen für nukleare Dienstleistungen, hatte den Meiler bereits 2018 gekauft, um ihn bis 2041 abzureißen. Dann entschied man sich jedoch, die Betriebsbereitschaft wiederherzustellen. Bis Ende 2025 soll Palisades wieder Strom liefern.
Die US-Regierung unterstützt das Projekt mit einer 1,5-Milliarden-Bürgschaft, während der Bundesstaat Michigan zusätzlich 150 Millionen Dollar beisteuert. Der Verkauf des Atomstroms erfolgt über ein sogenanntes Power Purchase Agreement (PPA) mit den ländlichen Kooperativen „Michigan’s Wolverine Power Cooperative“ und „Hoosier Energy“.
Warum fördert die USA dieses Projekt? Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) sind Laufzeitverlängerungen abgeschriebener Atomkraftwerke eine kostengünstige Möglichkeit, klimafreundliche Elektrizität zu erzeugen. Die Stromgestehungskosten bei einer Laufzeitverlängerung von 20 Jahren betragen 30 bis 40 Dollar pro Megawattstunde. Diese Kosten sind vergleichbar mit den Kosten neuer Wind- und Photovoltaikanlagen und stellen somit eine der kostengünstigsten Möglichkeiten dar, kohlenstoffarmen Strom zu erzeugen, so die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA).
Holtec plant, die Laufzeit von Palisades sogar um 25 Jahre zu verlängern, was die Kosten pro Megawattstunde weiter senken dürfte.
Atomkraftwerk Palisades: Wiederbelebung fördert lokale Wirtschaft und reduziert CO₂-Emissionen
Das wiederbelebte Werk soll über 600 Mitarbeiter beschäftigen und eine Lohnsumme von über 80 Millionen Dollar generieren. Es wird erwartet, dass es zu über 500 Millionen Dollar an sekundären Wirtschaftsaktivitäten in der Region beiträgt. Während des Betriebs zahlte Palisades jährlich mehr als 10 Millionen Dollar an Grundsteuern, die lokale Schulen, Strafverfolgungsbehörden, Brandschutz, Parks, Bibliotheken und andere kommunale Ressourcen unterstützten.
Auch die Stabilität des Stromnetzes soll vom Weiterbetrieb profitieren. Die Umrüstung des Kraftwerks werde Michigans CO₂-freie Energieerzeugung und die Netzzuverlässigkeit erheblich verbessern und die Abhängigkeit von teuren Energieimporten verringern.
Trotz dieser Vorteile gibt es auch Kritik von Atomkraftgegnern in den USA. Das Mediennetzwerk „Great Lakes Now“ zitiert Umweltgruppen, die lieber Wind- und Solaranlagen sähen. Sie verweisen auf die Gefahr radioaktiver Leckagen und die ungelöste Endlagerfrage in den USA. Holtec argumentiert hingegen, dass die kohlenstofffreie Stromerzeugung von Palisades entscheidend sei, um Klimaziele zu erreichen und die Zuverlässigkeit der Energieversorgung sicherzustellen.
Der Konzern erwartet, dass das Projekt 4,47 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen pro Jahr vermeidet. In den nächsten 25 Jahren sollen insgesamt 111 Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden.
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